Die Soziale Marktwirtschaft
Es ist über 70 Jahre her, dass die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland etabliert wurde: Am 20. Juni 1948 wurde die Reichsmark durch die Deutsche Mark ersetzt, die Schaufenster der Geschäfte füllten sich über Nacht; das Wirtschaftswunder nahm seinen Lauf. In den vergangenen sieben Jahrzehnten ist die Soziale Marktwirtschaft zu einem Markenzeichen deutscher Politik geworden. In vielen Transformations-, Schwellen- und Entwicklungsländern erklären Politiker die Einführung einer Sozialen Marktwirtschaft zu ihrem Ziel.
Aber was bedeutet eigentlich die „Soziale Marktwirtschaft“? Oft wird behauptet, die Bezeichnung „Soziale Marktwirtschaft“ sei ein Etikettenschwindel. Denn was soll schon „sozial“ sein an einer Wirtschaftsordnung, in der jeder seinem eigenen Vorteil nachgeht?
Wettbewerb: Basis für soziale Gerechtigkeit
Als Motor der Marktwirtschaft sorgt der Wettbewerb dafür, dass sich eigennütziges Handeln im Ergebnis nicht nur zum Vorteil der unmittelbaren Marktpartner, sondern auch zum Wohl der Allgemeinheit bündelt. Wettbewerb heißt: seine Forderungen nicht mit Brachialgewalt oder durch Privilegien zu verwirklichen, sondern seine Wünsche mit denen der Vertragspartner abzustimmen. Wie in allen anderen Wirtschaftsordnungen gibt es auch in der Marktwirtschaft ungleiche Einkommen und ungleich verteilte Vermögen. Vor dem Regelwerk des Marktes sind aber alle gleich. Es gibt keine Sonderspielregeln für Funktionäre und keine Extrazuteilungen für politisches Wohlverhalten. In einer Wettbewerbsordnung sind Einkommensunterschiede auch für die Ärmeren erträglich, weil sie nicht das Opfer von Willkür oder persönlicher Diskriminierung sind.
Eigennutz: kein Gegensatz zum Gemeinwohl
Es ist wahr, dass in der Marktwirtschaft zunächst jeder seinen wirtschaftlichen Vorteil sucht. Aber die Spielregeln des Marktes sorgen dafür, dass Eigennutz und Gemeinwohl keine Gegensätze bleiben. Der Eigennutz fördert einerseits die Verlässlichkeit und Ehrlichkeit: wer als unzuverlässiger Partner angesehen wird, der wird gemieden und schadet sich selbst. Der Eigennutz fördert andererseits aber auch das Gemeinwohl: wer wirtschaftlich erfolgreich ist, der bietet seinen Partnern gute Leistungen und beteiligt sich als Steuerzahler an der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. Im Wettbewerb stehen heißt: in seiner Marktumgebung als fairer und ehrlicher Partner zu gelten, aus den Mitteln - aus Kapital, aus Arbeit, aus technischem Wissen und aus der begrenzten Bodenfläche - das Beste zu machen und immer nach neuen Produkten und neuen Produktionsverfahren zu suchen. Der Antrieb dafür ist der Gewinn. Das Ergebnis kommt allen zugute: Volle Schaufenster sind schöner als leere, auch wenn man nicht alles auf einmal kaufen kann. Ein erfolgreicher Betrieb ist ein guter Arbeitgeber, weil er Arbeitsplätze sichert.
Wenig Regulierung: sozialer Ausgleich
Die Soziale Marktwirtschaft lässt die freien Marktkräfte sich voll entfalten. Sie korrigiert die Verteilung des Marktergebnisses, nicht die Entstehung. Zunächst soll der Markt eine möglichst große Wertschöpfung erzeugen. Eine unverfälschte Primärverteilung der Einkommen auf der Grundlage freier Märkte erfüllt dieses Ziel. Dann soll eine nachrangige Verteilung auf der Grundlage direkter personenbezogener Eingriffe über Steuern und Transfers erfolgen. Ökonomisch schwache Mitglieder einer Gesellschaft werden finanziell unterstützt und durch Umverteilung in die Lage versetzt, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Wer sicher ist, dass ein ökonomischer Misserfolg nicht zu einem bodenlosen Fall in Not und Armut führt, wagt mehr. Und weil individueller Wagemut der Gesellschaft insgesamt zugutekommt, lohnt sich der soziale Ausgleich eben auch für die Gesellschaft.
Irenik zwischen freier Markwirtschaft und sozialer Verantwortung
Doch bei genauerem Hinsehen merkt man, dass zum einen die Marktwirtschaft in der Tat eine Reihe von „sozialen“ - das heißt: allen dienenden - Elementen hat. Zum anderen wird soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung der Sozialen Marktwirtschaft gewährleitstet. „Sinn der Sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“, schreibt Alfred Müller-Armack, einer der geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft. Wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit sind keine Gegensätze. Sie lassen sich harmonisch verbinden und ergänzen sich sogar.